Ein Film über eine der spektakulärsten Naturlandschaften im Herzen Europas und ihre Bewohner:innen, die oft schwierigen Bedingungen zum Trotz eine besonders tiefe Beziehung zu ihrem Lebensraum haben.
Die Alpen sind nicht nur spektakuläre Naturlandschaft im Herzen Europas, sondern Lebensraum für 13 Millionen Menschen in acht Ländern, deren Vielzahl an Sprachen, Dialekten und Lebensweisen die kulturelle Vielfalt dieser einzigartigen Region widerspiegeln. Robert Schabus begibt sich in seinem Kinodokumentarfilm ALPENLAND mit großer Empathie und genauem Blick auf eine Reise zu Bergbauernhöfen in Österreich, kleinen Manufakturen im Dorf Premana in Italien oder in bekannte Wintersportzentren wie Méribel in Frankreich und Garmisch‐Partenkirchen in Bayern. Die Idylle trägt den Keim zu ihrer Zerstörung in sich. Der Tourismus schafft Arbeitsplätze und frisst die Natur auf, der Verkehr durchschneidet die Alpentäler, und der Klimawandel macht sich in den Alpen besonders bemerkbar. Gleichzeitig gibt es Menschen, die von der Tradition geprägt sind, einer rauen Natur seit Jahrhunderten zu trotzen, und die ihren Lebensraum nicht preisgeben wollen.
ALPENLAND erzählt von Menschen, deren Lebensperspektiven zwischen Ökonomie und Ökologie gegensätzlicher nicht sein könnten – und die trotz schwieriger Bedingungen eine tiefe Beziehung zu ihrer Heimat haben.
Für mich geht es noch, weil ich nur mehr ein paar Jahre habe. Aber ganz ehrlich, einem Jungen kannst du nicht raten weiterzumachen, weil es ist fast nicht zumutbar. Zusperren wäre die Alternative. Ich glaube sogar, die bessere. So traurig das auch ist. Das Arbeiten hier ist gefährlicher als im Tal unten. Trotzdem bin ich lieber auf dem Berg. Talbauer möchte ich schon gar nicht sein.
Also ich werde den Hof übernehmen müssen, weil ich ja das einzige Kind bin. Ich würde schon gerne weitermachen, dass er nicht verfällt und dass es weiter geht mit der Berg- und Almwirtschaft. Aber so, wie es jetzt momentan ist, wird es einfach keinen Sinn mehr machen. Weil man nichts mehr herauswirtschaften kann. Also, es ist schon ein bisschen Druck da. Aber wie der Papa immer sagt: Das bekommen wir schon hin. Irgendwie wird's gehen.
Ich bin hier am Hof auf die Welt gekommen. Da hat die Mutter am Tag Erdäpfel gegraben und am Abend bin ich dann auf die Welt gekommen.
Die Alpen sind unglaublich faszinierend. Du findest in den Alpen etwas, was du sonst gar nicht mehr findest, das sind letztlich die Reste. Ich bin hier in den 70er-Jahren hergezogen. Damals hatten wir eine Jahres-Durchschnittstemperatur von 6,8 Grad, heute haben wir 8,2 Grad. Das heißt dieser Skiort liegt klimatisch 300 Höhenmeter tiefer als damals. Auf 400 Höhenmetern ist man noch nie Ski gefahren. Man versucht also, jetzt künstlich das aufrecht zu erhalten, mit viel Geld, mit vielen Eingriffen in die Landschaft. Man kann es etwas grob auf einen Nenner bringen: Eine verkaufte Sozialwohnung ist der Gegenwert einer Schneekanone.
So ein schöner freier Bergblick, der spielt natürlich auch mit im Kostenpunkt. Aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Situation ist man einfach ein bisschen skeptisch dem ganzen Aktienmarkt gegenüber und investiert dann doch häufiger in Immobilien. Also in Betongold.
Diejenigen, die der hier traditionellen Arbeit nachgehen, also der Herstellung von Messern und Scheren, bleiben stark mit dem Dorf verbunden. Diese Verbindung zwischen Familie und Arbeit ist der Grund, warum viele dableiben. Es ist nur ein Dorf, aber das Dorf, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, wo meine Freunde sind, wo ich die Berge und den Fluss habe, wo meine Verwandten und Familie sind, und meine Arbeit, meine Schule. Es ist also nichts und doch alles für mich. Ich werde bis zum Schluss darum kämpfen, hierbleiben zu können.
Wenn es in Premana keine Arbeit gäbe, würde wahrscheinlich fast niemand mehr hier leben.
Ein wichtiger Aspekt bei der Gemeinschaft hier ist, dass, trotz des Wettbewerbs, die Betriebe sich gegenseitig helfen und unterstützen. Für fast alle technischen Probleme, die wir im Betrieb haben könnten, finden wir hier im Dorf eine Lösung. Das heißt, obwohl unsere Firma in einem kleinen, entlegenen Dorf ist, haben wir viele Möglichkeiten hier vor Ort, die vielleicht in Mailand schwieriger zu finden wären. Wir mögen das Gleichgewicht, das wir erreicht haben.
Es ist wichtig, einen Hausarzt zu haben, der einen von Kindheit auf kennt und bis ins Erwachsenenalter begleitet. Das wird es aber bald nicht mehr geben. Ich finde, das ist schade. Hier in Méribel werden wir mit Sicherheit keinen Arzt finden, der die Praxis täglich weiterführt, so wie wir es gemacht haben. Ich denke also, dass die Praxis geschlossen wird.
Keine Hotels bedeutet auch keine Saisonarbeiter. Für den Arzt sind sie Patienten. Für den Supermarkt sind sie Kunden. Für die Skiliftbetreiber sind sie Skifahrer. Wegen dem Klimawandel wird Schifahren irgendwann nur mehr zwei Monate im Jahr möglich sein, nicht mehr vier. Wovon soll man das ganze Jahr leben, wenn man nur zwei Monate Arbeit hat?
Was mir an meiner Arbeit gefällt, ist, dass wir jeden Arbeitsschritt selbst machen. Ich bin stolz darauf, eine Produzentin zu sein. Das Auftauchen der Wölfe ist zusammengefallen mit einem enormen Preisrückgang unserer Produkte. Auch einem Bevölkerungsrückgang. Es gibt Zeiten, wo mehr Menschen da sind. Aber dann über viele Monate hinweg niemand. Das fehlende soziale Netz und auch die Einsamkeit können hart sein. Ich habe viele Leute in meinem Alter gesehen, die versucht haben, hier ein Leben aufzubauen. Sie haben hart gearbeitet, hatten gute Ideen und waren enthusiastisch. Aber nach ein paar Jahren haben sie aufgegeben, weil es zu hart war. Ich sehe das als ein Scheitern an den Bergen.
Jetzt holt sich die Natur das Land wieder. Es ist überall Buschwald. Dort, wo vor zehn Jahren meine Kühe grasten und ich Heu geschnitten habe, ist jetzt alles voll von Brombeeren und Sträuchern. Die Natur erstickt uns fast, und es ist unsere eigene Schuld: Es sind alle weggezogen, weil sie hier nicht leben konnten. Ich war nicht immer Hirte und Bauer, und will damit sagen, dass ich lieber bei den Schafen bin und schlecht verdiene, als für mehr Geld in der Fabrik zu arbeiten. Im Leben geht's nicht nur um Geld. Es geht auch um Zufriedenheit. Das Leben ist kurz. Vergänglich. Man sollte also im Reinen mit sich selbst sein.
Ich bin Portugiese, als ich herkam, gab es etwa 300 Portugiesen hier in Zermatt, jetzt sind es über 2000. Zermatt braucht die Portugiesen und würde ohne uns nicht so gut dastehen wie jetzt. Als ich nach Zermatt kam und in dieser Firma begonnen habe, reichte der Gletscher fast bis hierher. Jetzt ist der Gletscher schon beinahe 700 Meter zurückgegangen. Wir bedecken den Gletscher hier wegen der Temperatur und hoffen, zumindest diesen oberen Teil zu retten.
In den Gemeindebüros gibt es Portugiesen, in den Lebensmittelgeschäften, in Büros, bei den Bergbahnen, in Bäckereien. Überall, wirklich überall. Wenn die alle einen Tag ausfallen würden, wäre es schlimm.Für uns, die einen normalen Lohn haben, ist eine Wohnung in Zermatt fast unbezahlbar. Wir arbeiten viel, mein Mann auf dem Bau und ich in der Bäckerei, damit die Kinder eine gute Ausbildung haben. Ich möchte gerne, dass meine Kinder dann später sagen, ich habe wirklich meinen Traumjob.
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Regie, Buch, Schnitt: Robert Schabus
Regieassistenz: Marie-Therese Vollmer
Kamera: Lukas Gnaiger
Ton: Bertram Knappitsch
Dramaturgie: Wolfgang Widerhofer
Sounddesign und Mischung: Andreas Frei
Grading: Lukas Lerperger
Musik: Lukas Lauermann
Produktionsleitung: Antonia Bernkopf
Herstellungsleitung: Michael Kitzberger
Produzenten: Michael Kitzberger, Wolfgang Widerhofer, Markus Glaser, Nikolaus Geyrhalter
Produktion NGF - Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH
Mit Unterstützung von: Österreichisches Filminstitut, ORF Film/Fernsehabkommen, Filmstandort Austria, Filmfonds Wien, Bayerischer Rundfunk, Land Kärnten Kultur / Carinthia Film Commission
Trailermusik: Lukas Lauermann, "finite distinct" vom Album "I N", (c) + (p) col legno Music GmbH, 2020;
www.col-legno.com
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Ich bin froh, in den Alpen aufgewachsen zu sein. Ein reichhaltiges Kinderleben auf einem Bauernhof ist das gewesen, trotz all der Schwierigkeiten und sozialen Enge. Eine sehr intensive Landschaft, die einen besonderen und auf sie abgestimmten Umgang einfordert. Aber hinter der romantisch verklärten Kulisse hat sich dort vieles verändert, und die Frage, wohin sich das noch entwickeln kann, scheint drängender als je zuvor.
Einer der Protagonisten in ALPENLAND sagt: »Du findest in den Alpen etwas, was du woanders gar nicht mehr findest. Aber das sind letztlich die Reste.« Und der wahrscheinlich bekannteste Alpenforscher Werner Bätzing schreibt dazu: »Die existentiellen Probleme der Entwicklung des Alpenraumes sind keine rein alpenspezifischen. Durch ihre Topologie zeigen sich zentrale Grundprobleme unserer modernen Gesellschaft nur meistens früher, deutlicher und dramatischer als in vielen anderen Regionen Europas. Die Alpen sind gleichsam ein Brennglas, durch das wir unsere Gesellschaft in unserer Zeit betrachten können.«
Der Dokumentarfilm ALPENLAND legt seinen Focus auf die ganz persönlichen Erfahrungen und Lebensumstände von Menschen und Familien im Alpenraum. Diese Begegnungen, in denen wir über mehrere Jahre diesen Menschen sehr nahegekommen sind, haben mich tief berührt. Ihre Verbundenheit mit ihrem Zuhause, mit der Landschaft und vor allem mit ihrem Tun scheint aus der Zeit gefallen zu sein. Es ist die Rückseite der verklärenden Bilder der Tourismusindustrie, die nur ein Teil der Maschinerie ist, die in manchen Alpenmetropolen zu Bevölkerungskonzentration führt und beispielsweise die Preise für Wohnraum ins Unermessliche steigen lässt. Trotz mindestens gleich schönem Panorama schrumpfen andernorts die Dörfer und mit ihnen die Infrastruktur, die Arbeitsplätze und das soziale Leben.
Ein grundsätzliches Verhältnis ist aus den Fugen geraten. Die Einheimischen kommen da und dort mehr und mehr unter Druck, weil sich so manche Entscheidungen und Entwicklungen so gar nicht an ihren Bedürfnissen orientieren. Wenngleich es auch Orte gibt, die einem ausgewogenem Verhältnis noch viel näher sind.
Diese ganz persönlichen Geschichten von Ziegenbäuerinnen und Messerschleifern in Italien, zugewanderten Tourismusarbeiter:innen in der Schweiz, einem Ärzteehepaar in Frankreich, einem Förster in Deutschland oder einer Bergbauernfamilie in Österreich sind nur der Bruchteil des Erzählbaren in den Alpen.
Gleichzeitig ist es aber auch alles an Sagbarem.
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